Missionare und Spürhunde – Metapher für investigativen Journalismus
**Die Bundespressekonferenz: Nachruf auf eine überlebte Einrichtung**
von Roland Tichy, veröffentl. am 20. Febr. 2021 von TichysEinblick.de:
Die Bundespressekonferenz war nie besonders kritisch. Aber ihr Verfall spiegelt den Niedergang des deutschen Journalismus wider. Sie hat sich überlebt
Das ist jetzt so etwas, wie wenn man „vom Krieg“ erzählt. Heute allerdings vom geschriebenen Krieg, von der Buchstabenschlacht. Vom Verhältnis zwischen Journalisten und Regierung. Ich bin seit den 80er Jahren Mitglied (mit Unterbrechungen) der Bundespressekonferenz. Wie doch die Zeit vergeht.
In ihren guten Tagen damals war die Bundespressekonferenz e.V. als Verein der Journalisten ein Übungsfeld. Mit unseren Fragen haben wir die Sprecher der Ministerien umkreist. Angebellt, angekläfft, gelegentlich angesprungen. Damals war das Sprecher-Gewerbe eines der großen Könner. Peter Boenisch beherrschte souverän den Saal der Bundespressekonferenz. Wenn er mit schneidendem Spott antwortete, dann jaulte so ein junger, getroffener Hund wie ich schon auf. Die Kollegen lachten und setzten das Frage-Jagd-Spiel fort. Es ging um Fakten, nicht um Glaubenssätze. So muss es sein. Die Journalisten versuchen, die Sprecher mit ihren Fragen zu zerlegen. Die Sprecher winden sich oder schlagen zurück […]
Auch die so gefürchteten Kollegen des russischen Staatsfernsehens sind heute zahm und gesittet. Die Konflikte sind harmlos, aber die heutigen Kollegen und Kolleg*innen ängstlich darauf bedacht, dass man das Sternchen mitspricht. Schöne Sorgen, gewaltige Konflikte in der Buddelkiste. Große Probleme werden längst außerhalb der Bundespressekonferenz verhandelt, rund um die Uhr. Es ist ein überholtes Ritual, das tägliche Treffen, auf dem Informationen präsentiert werden, die längst überholt sind. Es passte in eine Zeit, in der Zeitungen über das Geschehen von gestern berichteten, nicht aber ins Internet-Zeitalter mit Real-Time-Reporting. Es ist Opas Heldengedenken.
Damals musste ich einmal amerikanische Kollegen als Gäste führen. Sie waren erstaunt, wie zahm wir gefragt haben. Aus dem Press Room des Weißen Hauses kommend fanden sie uns harmlos. Dort geht es härter zu. Beinhart. US-Journalisten sind Wölfe. Der Präsident und seine Sprecher sind ihnen gewachsen. Ihre Antworten sind wie Peitschenknallen; damit halten sie sich die Meute vom Leib – oder gehen unter. So ist es gut. Jeder muss seine Rolle ausfüllen.
In Berlin ist die Bundespressekonferenz notorisch langweilig. Aus zahm wurde lammfromm. Die Sprecher sind meist unerfahren, das reicht ja auch, um ihre Sprechzettel abzulesen. Regierungssprecher Seibert ist wie sein ZDF: langweilig. Man hat geradezu Mitleid mit ihm. Die Kanzlerin nimmt ihn nicht ernst, und als Journalist kann man ihn auch nicht ernst nehmen. Die Kollegen sitzen vor Bildschirmen im Büro statt im Saal. So kann Treibjagd nicht funktionieren. […]
Was ist passiert? Renate Köcher hat schon 1985 eine Arbeit vorgelegt mit dem Titel „Spürhund und Missionar“. „Spürhund“ ist ihre Metapher für investigativen Journalismus. Der „Missionar“ bekehrt, trägt die Botschaft der Regierung in das Volk. Schon damals wunderte sich Köcher, die seit vielen Jahren Chefin des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts ist, dass westdeutsche Journalisten in vielen Feldern nicht die Sicht der angelsächsischen Kollegen teilten. Die verstehen sich als Spürhunde. Westdeutsche Kollegen ähneln in ihrer Berufsauffassung eher den ostdeutschen und sowjetischen Kollegen: […]
Derzeit versucht dort Boris Reitschuster, die ermattete Veranstaltung zum Leben zu erwecken. Dass er Mundschutz tragen muss, die Sprecher aber nicht, ist keine Stilfrage, sondern Machtdemonstration. Dass ihn eine Kollegin ermahnt, den Mundschutz aufzusetzen, ist die Bankrotterklärung eines Berufsstands. Die Regierungssprecher sitzen nicht mehr nur vorne, sondern auch unter den Journalisten. Reitschuster führt gekonnt eine Institution vor, die innerlich vergreist ist. Zum Abschied von einer überlebten Einrichtung gewissermaßen. Denn wiederbeleben lässt sie sich nicht. Was Reitschuster natürlich weiß. […]
Lesen Sie hier bitte den vollständigen Beitrag:
https://www.tichyseinblick.de/tichys-einblick/missionare-und-spuerhunde-und-die-bundespressekonferenz/
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