Die andere Sicht

Künstle’s Sicht: Was flüsterte Scholz dem Amtskollegen Netanyahu?

 

– Regierung will sich vom obersten Gericht nicht entmachten lassen 
– Oder die Gewaltenteilung elegant wie in Deutschland aufweichen 
– Zwei verschiedene Wege, übereinstimmendes Ziel – Parteienjustiz


von Albrecht Künstle
*)

 

Israels Regierung will sich nicht länger von seinem höchsten Gericht rügen lassen und hat angekündigt, dessen Urteile nicht mehr alle zu akzeptieren, wenn es aus der Sicht ihrer gewählten Regierungsmehrheit nicht dem vermeintlichen Willen der Wählermehrheit gemäß entscheidet. Das läuft zweifellos auf die Aufhebung der Gewaltenteilung hinaus, ein wesentliches Element einer Demokratie. Seit Monaten demonstriert eine große Minderheit der Bürger und Nichtbürger Israels gegen diese bedenkliche Entwicklung. Das einzige demokratische Land im Nahen Osten trifft nun die Verachtung der Weltöffentlichkeit. Es vergeht kaum ein Tag, an dem das deutsche Fernsehen nicht Demonstrationen gegen die Netanyahu-Regierung zeigt.

Und nun war der „Leibhaftige“ sogar in Berlin auf Staatsbesuch – um gut Wetter zu machen? Netanyahu rechtfertigte seinen Standpunkt bzw. die Politik seiner Regierung mit den Worten: „Eine unabhängige Justiz ja, eine allmächtige nein“. Öffentlich vor den Kameras mahnte Kanzler Scholz, er sei darüber in „großer Sorge“. Aber was wird er Netanyahu wohl geflüstert haben, nachdem die Journalisten weg waren? Vielleicht in etwa das …

„Bibi sieh‘ mal, wir in Berlin machen das anders. Meinst Du, wir überlassen die Rechtsprechung dieser blinden Justitia mit ihrer Waage in der Hand? Nein, das geht anders und ohne großes Aufsehen. Hast Du in den letzten Jahren einmal vernommen, dass uns das Karlsruher Bundesverfassungsgericht je ins Handwerk gepfuscht hätte? Nein, die Richter haben nur mahnend den Finger gehoben. Sogar unsere verfassungswidrige Verschuldungspraxis und vieles andere haben sie durchgewinkt.

 Du musst nur die richtigen Richter richten lassen, dann hast Du es einfacher. Schau, nach der Besetzung der letzten Stelle beim Bundesverfassungsgericht auf Vorschlag der Grünen haben wir nun einen Martin Eifert als ‚Klima-Richter‘. Denkst Du, dieser wird unserer Klimapolitik auch nur ein einziges Mal in die Parade fahren? Oder wenn wir uns nicht trauen, harte Maßnahmen gegen die Bevölkerung durchzusetzen, freuen wir uns über solche Richter als Wadenbeißer, die uns den Ball zuspielen.“

Einen solchen oder ähnliche Ratschläge könnte Demokratiemeister Scholz seinem israelischen Lehrling mit auf den Weg gegeben haben.

Das Bundesverfassungsgericht wird von amtierenden Politikern gewählt, Israel wirft man jedoch trotzdem vor, dass die Politik bei der Ernennung der Verfassungsrichter demokratiewidrig Einfluss nehmen wolle. Bei uns werden diese Richter ebenfalls von Politikern des Bundestages und Bundesrates bestimmt. Nicht von Oppositionspolitikern, die den Gesetzgebern auf die Finger schauen sollen, sondern von denen, welche die Gesetze machen. Und so wurde das höchste Gericht besetzt. Hackt eine Krähe der anderen die Augen aus? Kaum, aber wenn zwei das Gleiche tun, scheint das hier bei uns OK zu sein, in Israel dagegen verwerflich und demokratiefeindlich. So ist das halt mit den doppelten Maßstäben unserer Politiker und ihrer Mainstreammedien. Wer Zweifel hat …

„Wissenschaftler haben untersucht, ob Bundesverfassungsrichter im Sinne der Parteien entscheiden, von denen sie nominiert wurden. Eine parteiliche Prägung lässt sich belegen…“ wird hier attestiert. Und Die Zeit: „Rechtsstaat: Politiker als Richter? Wenn Politiker vom Bundestag in die Wirtschaft wechseln, erweckt das Misstrauen. Ebenso ein Wechsel zum Bundesverfassungsgericht, wie der Fall Stephan Harbarth zeigt.“ Das waren die Zweifel im Jahr 2018. Die letzten Jahre zeigten, dass dieser Mann den Herrschaften, mit denen er diniert und verkehrt, nichts Ernsthaftes entgegensetzt.

Was Deutschland von Israel unterscheidet: Netanyahu will in bestimmten Fällen Entscheidungen des obersten Gerichts überstimmen. In Deutschland geht das jedoch nicht. Wenn das Bundesverfassungsgericht ausnahmsweise einmal ein Gesetz aufhebt, räumt es dem Gesetzgeber eine lange Frist ein, um es zu ändern. Mit anderen Worten, man darf nach dem Richterspruch noch einige Jahre gegen die Verfassung verstoßen. Durchaus so lange, dass allenfalls die nächste Regierung die Änderung umzusetzen hat. Oder wie mehrfach vorgekommen: Der Bundesfinanzhof (BFH) verwirft eine Steuerregelung und das Bundesfinanzministerium (BMF) weist die Finanzämter an, die Entscheidung bis auf weiteres nicht anzuwenden. Ist diese Praxis besser als das, was in Israel ansteht?

Was ist die Moral von der Geschicht‘ – wenn es eine solche gibt? Unsere Medien und die von ihnen favorisierten Politiker unserer „Musterdemokratie“ sollten sehr zurückhaltend sein, wenn sie mit dem Finger auf andere zeigen – wie jetzt auf Israel. Denn dabei zeigen immer drei Finger auf einen selbst zurück.

 

*) Informationen zum Autor siehe HIER

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