Die andere Sicht

Künstle’s Sicht: Höchste Gerichte als Erfüllungsgehilfen der Politik

 

– Warum lassen sie Brüssel und Berlin immer mehr durchgehen? 
– Ist die Gewaltenteilung in Gefahr, weil eine Hand die andere …? 
– Von welchen Passinhabern gehen größere Gefahren aus?


von Albrecht Künstle
*)

 

Die selbsternannten Reichsbürger meinen, in unserem Land gehe vieles nicht mit rechten Dingen zu. Damit sind sie nicht alleine. Doch sie verrennen sich, wenn sie beklagen, wir hätten noch keinen Friedensvertrag und uns würde die versprochene Verfassung vorenthalten (das ist zwar ein doppelter Makel, dafür haben wir aber einen Doppelwumms-Kanzler). Wir seien kein souveränes Land, auch unsere Politik sei nicht souverän, meinen viele. Das ist zwar nicht falsch, aber das Problem liegt woanders als in einem förmlichen Friedensvertrag:

Die Dreiteilung der Staatsgewalt geht zusehends „zum Teufel“. Ist die Justiz noch von der Legislative unabhängig und welchen Kräften folgt die Exekutive? Nacheinander winken die höchsten Gerichte Deutschlands und der Europäischen Union Entscheidungen von gewählten und nicht gewählten Machtzentren mit Bauchschmerzen durch – obwohl sie sich dabei verdammt schwertun. Aber sie tun es trotzdem und werden zu Wiederholungstätern. Beispiele gefällig?

Die EU verstand sich anfangs als Wirtschaftsgemeinschaft, dann als politische Union, aber nicht als Schuldengemeinschaft. Spätestens mit dem 807 Mrd. Euro schweren „Corona-Wiederaufbauprogramm NextGeneration“ erfolgte die Abkehr von selbst gesetzten Europäischen Verträgen. Und das mit einer doppelt verlogenen Etikettierung. Zum einen hat uns das Coronavirus weder einen Krieg erklärt, noch einen geführt, in dessen Folge etwas wieder aufgebaut hätte werden müssen. Auch galt die Finanzierung der Coronamaßnahmen nicht der nächsten Generation, sondern der Finanzierung der kurz- und mittelfristig selbst angerichteten Schäden der Gegenwart. Dieser Machtmissbrauch beschäftigte auch die hohe Justiz.

Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2022 beschäftigten sich die Richter vor allem mit der Frage, ob die EU mit der Aufnahme gemeinsamer Schulden ihre Kompetenzen überschritten habe. In ihrem Urteil machen die Richter klar, dass ihnen die EU-Schulden ganz erhebliche Bauchschmerzen bereiten. „Die Richter sagen zwar, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass die EU mit NextGeneration unter Umständen ihre Kompetenzen überschritten hat und dass damit die Europäischen Verträge verletzt wurden“, sagt Mattias Wendel, Professor für öffentliches Recht an der Universität Leipzig. „Die Vertragsverletzung ist aus ihrer Sicht aber jedenfalls nicht offenkundig.“ Dass die Mehrheit des Senats den schuldenfinanzierten Fonds trotzdem durchgewinkt hat, liegt daran, dass die Richter sich in diesem Fall sehr zurückgenommen haben und nur untersucht haben, ob eine offensichtliche Kompetenzverletzung vorliegt. (WeLT). Dieses Schuldenpaket erfolgte nicht im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM!

Weiter geht das Problem mit der Zweckentfremdung von Corona-Kreditermächtigungen für Dinge, die als Klimaschutz-Investitionen gelten. Eigentlich gilt das Schuldenmachen für tatsächliche Zukunftsinvestitionen als sachlich gerechtfertigt und verfassungskonformer im Gegensatz zur Schuldenorgie für aktuelle Konsum- und Gegenwartsaufgaben. Schulden für Maßnahmen der Verringerung des Energieverbrauchs sind zulässiger als sie wegen „Corona“ zu machen. Doch die einfache Umwidmung, also Zweckentfremdung ohne inhaltliche Auseinandersetzung, ist jenseits demokratischer und fiskalpolitischer Gepflogenheiten. Es geht um immerhin 60 Mrd. Euro für die Wundertüte „Klimaschutz“, womit fast alles gerechtfertigt wird.

Auch damit beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht. Die Unionsparteien stellten einen Eilantrag wegen der Befürchtung, dass mit diesem Schachzug der Regierung die Schuldenbremse ausgebremst wird. Und auch in diesem Fall wurde der Legislative seitens der Judikative ein Persilschein ausgestellt mit einer seltsamen Begründung. Wenn das Schule macht, können im Haushalt z.B. übliche Zuschüsse für die Rentenversicherung ausgewiesen werden, die dann wegen zu vieler verstorbenen Rentnern nicht voll verbraucht werden, als Geldgrube für Spielwiesen der Innenministerin Faeser zweckentfremdet werden. Oder, oder …

Auslegungsbedürftig und -fähig sind Gesetze eigentlich nur, wenn sie nicht klar genug verfasst wurden und unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Aber warum richten höchste Richter kaum mehr richtig und folgen den Gesetzesschmieden trotz ihrer Bedenken? Dies dürfte eine Erklärung sein:

Die Bundesverfassungsrichter werden nicht von einem fachkundigen Kollegium gewählt. Die eine Hälfte des BVerG wählt der Bundestag, die andere der Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit. Und wer bestimmt die Politik im Bundestag und Bundesrat? Genau dieselben, deren Gesetze überprüft werden sollen und die die Verfassungsrichter in die Roten Roben gehievt haben. Gewaltenteilung, oder eher „wes‘ Brot ich ess‘, des‘ Lied ich singe“?

Nicht viel anders beim EuGH. Diese Richter werden für jeweils sechs Jahre von den nationalen Regierungen ernannt, aus jedem EU-Land zwei. Beim Gerichtshof sind es ein Robenträger aus jedem Land. Dazu kommen 9 oder 11 Generalanwälte, ebenfalls von Gnaden der Mitgliedsländer. Und gegenüber diesen „müssen sie jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten“? Doch Richter, die für ihren Job zu viel Berufsethos einbringen und kippen, was ihre Auftraggeber verabschiedet haben, dürften die längste Zeit „gerichtet“ haben.

Hier noch etwas Theorie zum Konstrukt Europäisches Parlament. Das ist jener Palast in Strasbourg für 750 Abgeordnete, von denen meist nur ein Zehntel anwesend ist (bei Beschlüssen reicht ein Drittel)! Sie sind anscheinend unterbezahlt? Aber mit der Vizepräsidentin Eva Kaili hatten die Scheichs von Katar Erbarmen und spannten ihr einen Schutzschirm auf. Gingen die anderen 13 Vize leer aus? Zurück zur Gerichtsbarkeit …

„Justitia“ wird immer mit einer Augenbinde abgebildet, weil sie „ohne Ansehen der Person Recht sprechen“ – solle. Aber um Personen geht es in Brüssel nicht. Die jene Juristen in ihr Amt hieven, Politiker, haben keine Augenbinde auf. Sie sehen, welcher Richter in welchem Verfahren wie abgestimmt hat. Als ich noch ehrenamtlicher Richter beim Landesarbeitsgericht Freiburg war, gab es auch gelegentlich Mehrheitsentscheidungen. Wer wie votiert hat, war dem uns ernennenden Wirtschaftsminister (jetzt Justizministerium) jedoch nicht zugänglich. LAG-Richter sind tatsächlich unabhängig.

Um das Problem abzuschließen: Die Herrschaften in den roten Roben ließen der Politik eine astronomische Schuldenmacherei durchgehen, die unsere Kinder und deren Kinder bis 2060 abzutragen haben. Wie wäre es, wenn die jungen Aktivisten die „laut sind, weil ihnen die Zukunft geklaut“ werde, sich einmal vor den höchsten Gerichten festkleben, statt auf unseren Straßen? Oder sie bilden eine Menschenkette zwischen Justizpalästen und Polithochburgen, den Zukunftsverhinderern für die Jugend. Aber jetzt wird eine andere „Sau durchs Dorf getrieben“, und zwar die …

„Reichsbürger“. Weniger als hundert Ewiggestrige mit wenig Haaren auf dem Kopf und nicht viel im Kopf hatten in Kleiderschränken „93 Waffen gehortet“. Die 3000 Polizisten fanden Steinschleudern, Schreckschusspistolen, eine Armbrust… Diese selbsternannten Reichsbürger haben, wie Millionen andere auch einen Doppelpass – neben dem deutschen noch einen mit dem Reichsadler drauf. Daneben haben wir aber Millionen …

„Neubürger“. Sie lassen ihre Waffen nicht im Schrank, sondern tragen ihre Messer griffbereit in der Tasche – und setzten sie tagtäglich ein. Nur die Bedienungsanleitung für die Messer, den Koran, haben sie im Schrank, wo einige Reichsbürger ihre „Waffen“ aufbewahrten. Diese Neudeutschen mit ihren Bärten erhalten nach wenigen Jahren einen Pass mit dem Bundesadler drauf – der nicht vor Straftaten schützt, sondern den Passinhaber vor seiner Abschiebung trotz begangener Straftaten.

Wer von den Dreien stellt die tatsächlich größere Gefahr für uns dar? Die Reichsbürger, die Neubürger oder gar das Junktim aus Politik, Justiz und (Nicht-)Strafvollzug? 

*) Informationen zum Autor siehe HIER

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